Frau und Mann – die Polarität, in deren Mitte der Mensch erscheinen kann

Die Frage nach Partnerschaft ist heu­te nicht mehr eine gesell­schaft­liche An­ge­legenheit: „Wie lebt ,man’ ei­ne Part­nerschaft?“. Sie ist zu ei­ner ganz in­di­vi­du­ellen Frage ge­worden: „Wie will ich, wie wollen wir eine Partnerschaft leben?“ – Und wenn Partnerschaft, wa­rum dann über­haupt Ehe? Zu dieser grundsätzlichen Fra­ge, für die es noch steuer­lich­e Ar­gu­men­te gäbe, kommt eine viel gravie­rendere hinzu: „Wo­zu braucht es eine kirch­liche Trauung?“

Die Gesellschaft heute hat keine Er­war­tungen an die Eheleute und macht inhaltlich keine Vorgaben mehr. Auch in der Christengemeinschaft kann es hier keine Vor­ga­ben geben.

Was blei­ben dann noch für Gründe, kirch­lich zu heiraten?

Die Ehe – ein unsichtbares Wesen zwischen Mann und Frau

Auf der Erde ist jeder Mensch einseitig, denn er ist im­mer „nur“ eine Frau oder „nur“ ein Mann. Geis­tig können wir schon ganz Mensch sein. Leib­lich, seelisch und in unseren Le­­bens­vor­gän­gen sind wir noch eindeutig männ­lich oder weib­lich.

Im Zusammenleben von Frau und Man­n kann aber un­sicht­bar zwisch­en bei­­den et­was entstehen, das weder männ­lich noch weib­lich, sondern schon mensch­lich ist. Die­ses „Zwisch­en-Etwas“, das man ge­wöhn­lich „Be­zie­hung“ oder „Ehe“ nen­­nt, ist selbst ein We­sen. Das kann man daran er­ken­nen, dass es ei­ne eigene Bio­grafie, eine eigene Be­find­lich­keit hat: es kann sein, dass bei­de Partner ge­ra­de Schwie­rig­­keit­en ha­ben, dass es der Ehe aber sehr gut geht – und um­gekehrt.

In der Trauung geht es um dieses Wesen, das in der Verbin­dung zwischen Mann und Frau lebt und gerade in dieser Polarität ganz mensch­lich ist. Man kann sagen: in der kirch­lich­en Trauung wird die Ehe „getauft“: das We­sen, diese Ehe-Ge­mein­schaft, verbindet sich mit einer Chris­ten-Ge­mein­schaft, die aus der ge­­­mein­sa­men Suche nach Chris­tus le­bt.

Wozu sage ich „Ja“?

Ginge es nur allgemein um die Verbindung von Mann und Frau, dann wäre es unbe­deu­tend, wen man heiratet. Christentum ist aber immer kon­kret: Es geht nicht darum, „alle Men­schen“ zu lieben, sondern den „Nächs­ten“. Am kon­se­quentesten geschieht das in der Ehe, wo man sich für einen einzigen Men­schen ent­scheid­et. In den klassischen Formen der Trau­ung er­scheint dies als Treue-Versprechen, das den ei­nen Men­schen an den an­deren bindet.

In der Christengemeinschaft sprechen die bei­den Brautleute auch ein Ja-Wort. Jeder be­ja­ht aber seinen eigenen Ent­schluss zur Le­bens­ge­mein­schaft mit dem An­der­en. Dieses Ja bindet die Menschen nicht fest. Es bestärkt den ei­genen Entschluss, das Ja zum Anderen im­mer neu mit Leben zu erfül­len. Das Ja-Wort soll nicht einen Zustand festhalten. Es ist ein Ja zu ge­mein­samer Be­we­gung, die in die Zu­kunft führt und im­mer neu be­lebt werden will.

Die Trauzeugen

Ein Ehe zu leben ist etwas so Zukünftiges, dass dazu Hilfe in Anspruch genommen werden darf, lebendiger Beistand. Die beiden Trauzeugen ha­ben nicht nur die Auf­gabe, rückblickend zu bezeugen, dass die Bei­den Ja gesagt haben. Durch ihre Gegenwart versprechen sie, dass sie die Ehe auch in Zukunft helfend begleiten wol­len. Sie sollen nicht in die Ehe hineinreden, son­dern sie in­ner­lich un­ter­stüt­zen, für die Ehe beten, kurz: tätig an die Ehe glauben. Die Her­aus­for­der­ung dieser Aufgabe sollte bei der Suche nach Trau­zeugen vor Augen stehen.

Ringe und Stäbe

In der Trauung werden Ringe getauscht – ein ganz altes Sym­­bol: Wie der Ring, der bei je­der Alltagsarbeit sichtbar getragen wird, hat auch die Ehe eine „Außenseite“, eine soziale Aus­wir­kung. Gleichzeitig braucht jede Ehe ei­ne ge­­schlos­sene „In­nen­seite“, sonst geht ihre Kraft ver­loren. Das ist kein Ego­ismus: jede Be­ziehung braucht einen „Brun­nen“, der ge­pflegt werden muss, damit er als Kraftquell dienen kann.

Hinzu kommt ein neues Symbol: Zwei Stä­be werden mit einem roten Band zu­sam­men­gebunden und diagonal gekreuzt über das Braut­paar erhoben. Im Stab zeigt sich ein Bild für die innere Führung des Menschen, für sein „Ich“. Im Bild der gekreuzten Stäbe wird deut­lich, dass zwei individuelle Menschen nicht „parallel“ sein können. Sie dürfen sich in ganz verschiedenen Richtungen bewegen, brauchen für die Lebensgemeinschaft aber einen ge­meinsamen geistigen Berührungs­punkt.

„Voranleuchten“ und „Folgen“ – nicht alte Rollenverteilung, sondern neue Herausforderung

Verwandlung und Entwicklung sind zentrale christliche Motive. Starre Rol­len­ver­teilungen können also nicht In­halt einer christ­lichen Ehe sein.

In der Trauung der Christengemeinschaft be­kommen Mann und Frau je eine spezifische Herausforderung aufgezeigt: sie werden zu­ein­ander – und zu Chris­tus – in eine neue Dy­na­mik geführt. Dabei geht es nicht darum, wer „die Hos­en an­hat“, sondern wie die ei­ge­ne Be­zie­hung zu Christus in die Be­ziehung zum Ehe­part­ner herein­leuchtet.

Männer leuchten zwar oft gern mit eigenen Ideen voran. In re­li­giö­sen An­ge­legenheiten über­lassen sie aber eher Frauen die Ini­tia­tive, die da häufig begabter sind. In der Trau­ung wird diese Dynamik genau um­gekehrt: Bei­de sollen die eigene Beziehung zum Licht des Wie­der­­erstan­den­en aufsuchen. Mit die­sem Licht – nicht mit seinem eigenen – soll nun der Mann der Frau voranleuch­ten (nicht vor­an­ge­hen!). In diesem Licht – dem Licht des Chris­tus, das in ihr selber leuchtet – soll die Frau dem Mann folgen. Der Mann soll einen Weg sichtbar mach­en, den er nicht selbst bestimmt; die Frau soll lernen, sich in ihrer eigenen religiösen „Leucht­kraft“ ei­nem Anderen anzuschließen.

Es geht um die geistige Beziehung zuein­an­der. Völlig neue Herausforderungen werden er­öff­net – gera­de so, wie es nicht alten Rollen­vor­­stel­lun­gen entspricht.

Silberne und goldene Trauung

Das einmal gesprochene Ja vor dem Altar ist der Entschluss, immer wieder neu die gegen­sei­tige Bejahung zu leben und zu tun. Dieses Ja kann nach 25 (Silber) und nach 50 Jahren (Gold) auch vor dem Altar erneuert wer­den.

Nach 25 Jahren geht es da­rum innezuhalten und – wie das reflektierende Silber – zu­rück­zu­blick­en. Häufig ist dies auch biografisch eine Wende. Da kann es Kraft geben, bewusst auf einen neu­en Ab­schnitt zu­zugehen und die Ge­mein­sam­keit neu zu be­jahen.

Nach 50 Jahren kann zurückgeblickt werden auf die Früchte der Lebensgemeinsamkeit. Was künftig gemeinsam gelebt wird, kann wie das sonnenartige Gold über die bei­den Men­schen hin­ausstrahlen für die ganze Mensch­heit.

Vorbereitung auf die Trauung

Eine Trauung vor dem Altar des Christus ist ein so besonderer Schritt, dass sie durch mehrere Ge­spräche mit einem Priester sorgfältig vorbe­reitet werden sollte. Bei solchen Gesprächen kann es darum gehen, Anregungen zu be­kom­men, wie die Ehe lebendig gehal­ten und mit Kri­sen umgegangen werden kann. Genauso wich­ti­g ist aber, dass sich sowohl der Priester als auch das Braut­paar auf diese konkrete Trau­ung ein­stim­men. Das Ritual ist zwar immer gleich, aber je­de Ehe, jede Lebens­ge­mein­schaft ist ein­malig. Auch die Trauzeugen sollten früh­zei­tig in die Vor­bereitung ein­be­zo­gen sein, damit es nicht ein bloßer formaler Akt wird.

Die Trauung und die Menschenweihehandlung

Die Trauung ist der Beginn eines gemein­sam­en Weges, einer „Lebensgemeinsamkeit“. Wird die­ser Weg vor dem Altar des Christus be­jaht, dann liegt es nahe, dass er die Beiden im­mer wieder vor die­sen Altar führt. Zwei Men­schen, die ihre Ge­mein­samkeit in der Men­schen­wei­he­handlung mit dem Abendmahl ver­bin­den, kön­nen damit nicht nur die ei­ge­ne Ehe nähren und stärken. Sie lassen zugleich der Ge­mein­schaft, aus deren geistiger Kraft ihre Ehe ge­seg­net wur­de, neu­e Kraft zu­ström­en.

Text: Claudio Holland