Ja zum Leib und ja zum Sterben

Der Vorgang des Sterbens ist in der Vorstellung vieler Menschen mit Angst behaftet und heute weit­gehend aus unserem Alltag aus­ge­klammert. Nur die wenigsten Menschen sterben zu Hause und im Kreis der Fa­milie. Und viele Lebende haben noch nie einen Verstorbenen gesehen.

Sterben ist die Erfahrung, alles zu­rück­­zulassen, was keinen Bestand hat und vielleicht bisher einen wesent­lich­en Halt gab.

Was gibt es im Zugehen auf den Tod zu bedenken, und was ist der Sinn kul­tischer Handlungen in der Nähe des Sterbens?

Wozu Rituale beim Sterben?

Wie die Ge­burt eines Men­schen, so ist auch sein Tod ein heiliger Augenblick, der mensch­lich­en Beistand er­fordert. Es braucht Sach­kennt­nis und Befähigung, wenn dieser Beistand hilf­reich sein soll.

Eine Hebamme, die eine Geburt begleitet,  muss Kenntnis ha­ben vom In­nern des mensch­­lichen Leibes. Und sie muss die Heraus­forde­run­gen kennen, die das Neugeborene nach der Ge­burt unter den neuen, völlig ver­än­derten Be­din­gungen erwar­ten.

Wer einen Menschen beim Sterben wirksam beglei­ten will, muss Kennt­nis ha­ben von den in­neren Verhältnissen der mensch­lichen Seele und ihrem Weg auß­er­halb des Leibes. Und er muss die Her­aus­for­derungen ken­nen, die den Ver­stor­ben­en nach dem Tod un­ter den neu­en, völ­lig ver­än­derten Be­din­gun­gen er­war­ten.

Die sakramentalen Hand­lun­gen für den Ster­ben­den sind nicht als schö­­ner „Brauch“ zu ver­ste­hen. Sie sind eine kon­krete Hilfe, die sich wie eine gute Geburts­hilfe aus den Be­din­gun­gen der Sache selbst er­gibt. Sie werden von einem Priester vollzogen, der durch die Weihe für solche Handlungen be­fähigt ist.

Die begleitenden Handlungen um das Sterben

In der Be­gleitung des Ster­benden sind in der Chris­ten­ge­­mein­schaft sechs kul­tische Hand­lun­gen mög­lich. Im Zugehen auf den Tod:
Das Beichtsakrament
Das Abendmahl
Die Letzte Ölung

Nach dem Tod:
Die Aussegnung
Die Bestattung (Trauerfeier)
Die Totenweihehandlung

Die Beichte und das Abendmahl – Bejahen und Loslassen in einem

Will man die Bio­gra­fie, die ja oft als un­voll­en­det erlebt wird, wirklich los­las­sen, dann zei­gen sich manchmal Hürden: Ich kann mich nicht „entscheiden“, weil ich kein klares Ver­hält­nis zu diesem Le­ben habe: manches ist noch un­ge­klärt, es gibt noch Kno­ten zu lösen oder ei­nen Dank aus­zu­sprech­­en.

In dieser Situation kann die Beichte in ihr­er neuen Form eine entscheidende Hilfe sein. Sie hat nicht das Ziel, von außen Be­wert­un­gen zu geben oder Entscheidungen ab­zu­nehmen. Sie kann die Kraft geben, selbst ein klareres Bild vom eigenen Leben zu ge­win­nen. Auch das Un­fertige kann leichter be­jaht und losgelassen wer­den, wenn in der Skiz­ze das Kunst­werk er­kenn­bar wird.

Im anschließenden Abendmahl kann sich diese Beziehung vertiefen: was ich an­ge­se­hen und losgelassen habe, kann mir verwandelt in Brot und Wein zur Stärkung, zur „hei­len­den Arze­nei“ werden. Am Sterbebett wird nicht ein voll­ständiger Gottesdienst gefeiert. Der Pries­ter bringt von der morgendlichen Men­schen­wei­he­hand­lung etwas von dem ver­wan­del­ten Brot und Wein mit und reicht die Kom­munion mit den dazugehörigen Gebeten.

Die Letzte Ölung als Entscheidungshilfe

Es ist eine Kunst, sich zu verab­schie­den. Wenn man sich für lange Zeit von einem Men­schen trennen muss, dann hilft es manch­mal, ihn zu umarmen. Das Los­las­sen wird ein­fach­er, wenn man sich vorher noch einmal ver­bin­den darf.

Alle Sakramente haben den Charakter, mit dem Leib zu verbinden, auf die Erde zu brin­gen. Auch der Vollzug der Letzten Ölung be­deu­tet nicht, einen Menschen „wegzu­­schicken“. Sie hilft, den Leib noch einmal zu ergreifen, so dass der Ster­bende von sich aus leichter los­las­sen kann. Die­se „Um­ar­mung“ kann aber auch ei­ne Hilfe sein, sich klarer zu entscheiden: Ge­he ich, oder ver­bin­de ich mich wieder? Nicht sel­­ten bes­sert sich der Zu­stand eines Ster­ben­den nach der letzten Öl­ung noch einmal.

Nach ei­ner langfristigen Genesung kann die­ses Sakrament zu einem spät­eren Zeit­punkt erneut vollzogen werden.

Der Vollzug der Letzten Ölung

Am Sterbebett spricht der Priester das Ho­­he­pries­terliche Gebet, das große Ge­bet des Chris­tus für die Menschen (Joh. 17). An­schließ­­end salbt er den Sterbenden mit ge­weih­tem Öl: mit dieser Substanz, die vorher gesegnet wur­de mit der Kraft, „liebe-geneigt“ zu mach­en, wird ihm über jedem Auge und auf der Stirn jeweils ein Kreuz gezeichnet, ein Tor in die himmlische Welt. Indem das „hei­len­de Öl“ zart in den Leib einzieht, kann das stärkende Leben des Christus in die Seele ein­ziehen. Er wird der Begleiter beim Durch­gang durch den Tod.

Ein sterbender Mensch hat meist nur wenig Kraft. Die Letzte Ölung dauert nur wenige Mi­nuten und spricht den Menschen in sehr ver­dich­teter, stär­ken­der Form an. Ein Ministrant be­gleitet die Hand­lung.

Die Aussegnung – ein Wegweiser nach dem ersten Lebensrückblick

Menschen, die für kurze Zeit klinisch tot war­en und von ihren Erlebnissen berichten, schil­­­dern al­le ei­nen Rück­blick auf ihr Leben. Vor dem Tod konnte im Beicht­gespräch ei­ne gute Vor­be­rei­tung statt­fin­den auf diesen „natürlichen“ Rück­blick, der nun et­wa die ers­ten drei Ta­ge nach dem Tod aus­füllt. Während die­ser Tage kön­nen An­ge­hö­rige und Freun­de den Verstorbenen be­glei­ten durch den Blick auf das Leben des Chris­tus, in­dem sie das Evan­geli­um lesen. Ei­ne solche To­tenwache ist nicht nur ein Beistand für den Ver­storbenen. Sie kann auch den Hin­ter­­blie­benen er­leich­tern, einen neu­en Bezug zu ihm zu finden und los­zu­lassen.

Nach Ablauf dieser Tage verblasst das große Lebensbild vor den Augen des Verstorbenen. Nun kann die Aussegnung vollzogen werden, die erste „Geburts­hil­fe“ in die andere Welt: in ei­­ner kurzen ritu­el­len Handlung am Sarg wird der Seele aufgezeigt, dass ihr Weg nun wei­ter­geht in der Welt des „Seelenseins“. Die An­we­sen­den begleiten diesen Übergang.

Die Bestattung – die Übergabe des Leibes an die Elemente

Nach der Aussegnung wird der Sarg ge­schlos­sen. Jetzt kann der Leichnam den irdischen Ele­menten über­geben werden. Wird eine Erd­be­stattung ge­wünscht, dann wird das Be­stat­tungsritual am Grab ge­fei­ert. Bei einer Feu­er­bestattung fin­det die Trauerfeier vor der Ver­brennung statt, in der Regel im Kre­ma­to­ri­um.

Der Verstorbene, dessen Seele sich schon aus dem Leib gelöst hat, wird in einem Rück­blick auf sein Le­ben durch den Priester ein­ge­la­den, noch einmal ge­genwärtig zu sein vor dem Be­wusstsein der Anwesenden. Jetzt, wo seine äuß­ere, sichtbare Ge­gen­wart endgültig los­ge­las­sen werden muss, wird das Augenmerk der Hin­terbliebenen auf seine un­sicht­bare, aber geis­tig wahrnehm­ba­re Ge­gen­wart gelenkt.

Die Totenweihehandlung

Jede Menschenweihehandlung bezieht die Ver­storbenen mit ein. Tritt ein Mensch neu in diese Welt der Verstorbenen, dann wird er am Anfang ein­mal besonders in die Wei­hehandlung einbe­zo­gen. Es wird an einem Samstag (frü­hes­­tens nach der Be­stat­tung) eine Toten­wei­he­hand­lung gefeiert, in der der Weg des Ver­stor­ben­en in Beziehung gebracht wird zum Ge­bets­strom der Ge­mein­de. Mit dieser Handlung wird eine wei­tere Hilfestellung für die Neuorien­tie­rung nach dem Tod gegeben. Er kann sich ganz einlassen auf die nachtodliche Welt, ohne die Be­zie­hung zu den Lebenden zu verlieren.

Text: Claudio Holland