Dem Gott in jedem Menschen dienen

Früher war der Priester innerhalb der Gesellschaft eine besonders ange­se­he­ne, her­aus­ge­hobene Person. In allen Fragen der Le­bens­­führung wurde seine Anweisung er­be­ten und akzeptiert. Eine Bezie­hung zu Gott war ohne ihn nicht denk­bar.

Heute ist Religion eine sehr indivi­du­el­le Angelegenheit geworden. Die Be­zie­hung zu Gott­ hat sich so vielfältig ent­wickelt wie die Men­schen. Das gilt auch für die christ­liche Reli­gion.

Chris­tus wendet sich an die Freiheit und Entwick­lungs­fä­hig­keit des Men­schen. Ge­rade in einer christ­lichen Kirche darf es also kei­­nen Rückschritt geben. Dass es in der Christengemein­schaft Priester gibt, mag vor diesem Hin­ter­grund zunächst über­rasch­en. Was kann heute, wo je­der Mensch seinen eigenen religiösen Weg sucht, die Auf­gabe eines Priesters sein?

Wozu braucht es heute Priester?

Jeder Mensch kann beten lernen und eigene For­men des Gebetes suchen. Wer selbst betet, kennt die Emp­fin­dung, dass das Bet­en un­ter­schied­lich „ge­lingt“, aber auch, dass die Kraft eines Ge­betes sich noch steigern kann, wenn mehr­e­re Men­schen ge­mein­sam bet­en.

Es bleibt die Frage, ob das Gebet bloß dem ei­genen Wohlbefinden dient, oder ob es über die eigene Empfindung hin­aus tat­säch­lich wirk­sam ist. Soll das Gebet die Verwand­lung von Sub­stanz (Brot und Wein) bewirken und sich zum Sakrament verdichten, dann darf die Kraft dieses Ge­bets nicht ausschließlich von der mo­men­tanen persönlichen Fähigkeit der An­we­sen­den ab­hän­gen.

Durch die Priester­weihe stellt ein Mensch sei­ne ganze Arbeitskraft le­bens­lang in den Dienst des Christus. Dadurch be­kommt er – weit über sei­ne persönlichen Fä­higkeiten hin­aus – die Mög­lichkeit, am Altar Sak­ramente zu voll­zie­hen. Er wird da­durch kein besserer Mensch. Son­dern er stellt sich ein­em geistigen Ge­schehen zur Ver­füg­ung um zu er­mög­lichen, dass die individu­el­len religiösen Wege sich zum Sak­ra­ment ver­dich­ten können.

Das Priesterkreuz und die drei Aufgabenfelder des Priesters

In der Menschenweihehandlung haben die An­wesenden mehr­fach die Möglichkeit, sich über Stirn, Kinn und Brust zu bekreuzigen. Gleich­zei­tig macht der Pries­ter ein groß­es Kreuz, das von ei­nem Kreis um­schlos­sen ist. In der Pries­ter­­wei­he, die in den Verlauf der Men­schen­wei­he­­hand­lung eingewoben ist, be­kommt der wer­den­de Priester zum ersten Mal dieses Kreuz ein­geschrieben – ein Bild für die drei pries­ter­lich­en Aufga­ben:

  1. Die Senkrechte von oben nach unten: den Men­schen das Evangelium verkünden;
  2. die Waag­rechte: mit den Menschen sakramen­tale Hand­lun­gen vollziehen;
  3. der Kreis um die Mit­te: seel­sor­ger­lich zu den Men­schen Bezie­hung pflegen.

Was bedeutet das konkret?

Verkündigung – die Himmelsbotschaft vermitteln

Die erste Aufgabe scheint einfach zu sein, denn wer les­en kann, kann auch das Evan­ge­lium vor­les­en. Mit Verkündigung ist aber ge­meint, dass sich im Sprechen des Priesters et­was Gött­liches mitteilen soll. Was vom Himmel als geistige Bot­schaft kommt, soll er den Men­schen als lebendige Kraft vermitteln.

Vor der ersten Verkündigung innerhalb der Pries­terweihe wird ihm die Stola um den Hals ge­legt und vor seiner Brust gekreuzt: Was vom Himmel als „Eu-Angelion“ (Engel-Bot­schaft) herab­strömt, soll durch das Herz des Priesters gehen und für die Menschen hörbar wer­den. Was Ge­dan­ke und Wort ist, soll Le­bens­strom werden.

Sakramente vollziehen – Gottes Tat und Menschentat in einem

Die zweite Aufgabe betrifft ein Ideal, das je­der Mensch haben kann: dass in jeder Tat auch Gott tätig sein möge. Damit am Altar diese Hoff­nung verlässliche Wirksamkeit wer­den kann, wird der werdende Priester mit ge­weih­tem Öl ge­salbt: mit dieser Substanz, die vor­­her gesegnet wur­de mit der Kraft, „lie­be-ge­­neigt“ zu mach­en, wird auf die Stirn und auf die Handrücken ein Kreuz ge­zeich­net und dreimal der Scheitel berührt. Öffnungen zur gött­lichen Welt werden an­ge­legt, durch die das Handeln des Chris­tus in das pries­ter­liche Handeln einfließen kann.

Dann bekommt der werdende Priester die Ka­sula übergelegt, das zentrale kultische Ge­wand, das seitlich of­fen ist. Er wird über­klei­det mit einer Be­fä­hi­gung, die über seine per­sönlichen Fähigkeiten hinausweist. Und die Hän­de werden frei, um Taten zu ver­rich­ten, in denen göttliche Kräfte wirken.

Priester werden aus der Bejahung durch Andere

Die ersten Christen nannten sich „die auf dem Wege sind“. Wer Priester wird, muss sich zu dem Lebensgefühl erziehen, niemals fertig, sondern immer am An­fang, auf dem Wege zu sein. In der Pries­terweihe wird er an­ge­sproch­en als: „Du, ein Werdender“.

Außerdem muss der Priester ein Be­wusst­sein davon haben, dass er etwas tut, was nie­mand alleine und aus sich selbst tun kann. Um als Priester wir­ken zu können, braucht es drei­fach­en Rück­halt:

  1. durch die göttliche Welt,
  2. durch die Menschen und
  3. insbesondere durch die Priesterschaft.

Diese Notwendigkeit findet im Anschluss an die Salbung ihren Ausdruck, wenn der wer­den­d­e Priester dreimal bejaht wird: von dem, der die Weihe vollzieht, vom Ministranten und zu­letzt durch al­le an­we­senden Pries­ter hinter ihm ­mit einem kräftigen „Ja, so sei es“.

Seelsorge – Christus dienen heißt den Menschen dienen

Die dritte Aufgabe ist die seelsorgerliche Be­zie­hung zu den Menschen. Sie ersetzt nicht die Für­sorge und karitative Tätigkeit anderer Men­schen untereinander. In der Seel­sor­ge geht es viel­mehr da­rum, die geistige Di­men­sion jedes ein­zelnen, un­ver­wech­selbaren Schicksals zu such­en und zu unterstützen.

Gegen Ende der Weihe wird um die ver­sam­melten Priester mit dem Kelch ein Kreis ge­schrit­ten und so ein In­nen­raum er­zeugt. Aus die­ser Mitte wird der Pries­ter zu den Menschen aus­gesandt. Er bekommt die Aufga­be, „das ei­gene Sein in Be­zie­hung zu setzen zum Sein der Gemeinde“. Es geht also nicht um bloße Bera­tung. Es geht um existen­zielle Be­ziehung zu den Menschen mit ganzem Her­zen – bei voll­ständi­ger Achtung der Freiheit des Anderen. Die­se span­nungs­reiche Aufgabe leis­tet der Priester nicht allein aus seiner per­sön­lichen Kraft, son­dern aus der Kraft der Pries­ter­ge­mein­schaft, aus einer geis­ti­gen Mitte.

Jedem Menschen dort zu helfen, wo er sei­nen eigenen Weg geht, ohne diesen von auß­en vorzugeb­en – das ist das An­lie­gen der Seel­sor­ge in der Chris­ten­ge­mein­schaft. In der Beich­te kann sich dieser Weg zum Sakrament ver­dich­ten.

Hierarchie

Die gött­lich­en Wesen, wie sie in der Bibel ge­­nannt werden (Engel, Erzengel u.s.w.), steh­en in ei­ner „heiligen Ord­nung“, einer „Hier­ar­chie“ zu­ein­an­der. Dadurch kön­­nen sie geis­tig zu­sam­men­wir­ken. Eine Ge­mein­schaft, die aus den Kräf­ten dieser gött­lich­en Welt ar­bei­ten will, braucht auch eine solche Ord­nung, damit sich im Zusammenwirken Sak­ra­men­te ereignen kön­nen.

Innerhalb dieser Ordnung trägt jeder Pries­­ter Bewusstsein und Verantwortung für seine Ge­meinde vor Ort, einige jeweils für ei­ne gan­ze Re­gion (die „Lenker“), wenige für die ge­sam­te Chris­­ten­ge­mein­schaft (drei „Ober­­len­ker“, von den­en einer das Amt des „Erz­­ober­len­kers“ in­ne­hat). Mit der Übernahme solcher Äm­­ter wächst die Ver­ant­wor­tung, nicht aber das An­­se­hen, die Macht oder der wirt­schaft­liche Sta­tus ei­nes Pries­­ters.

Alle Pries­ter spre­chen den Len­kern und Ober­len­kern die Auf­gabe zu, sie an einen Ar­beits­ort zu entsen­den. Dadurch kann vor den Men­schen und der gött­lichen Welt ge­währ­leis­tet werden, dass in allen Gemeinden die Sak­ra­men­te kon­ti­nu­ier­lich­ ge­fei­ert werden kön­nen.

Die Priesterweihe wird stehend empfangen. Priesterinnen und Priester sollen sich nicht ein­er Insti­tu­tion un­ter­ordnen, sondern sich aus ei­gener, wacher Ver­­ant­wort­ung in ihre Aufgabe stel­len.

Text: Claudio Holland